Deutschland sucht und sucht

Ja, wen sucht Germany denn? Sucht es den verlorenen Verstand?
Der Mensch sei, so meinte Blaise Pascal in seiner wohl berühmtesten Aussage, nur ein denkendes Schilfrohr.[ref]L’homme n’est qu’un roseau, le plus faible de la nature; mais c’est un roseau pensant.<…>
Toute notre dignité consiste donc en la pensée. (Blaise Pascal, Pensées, fragment 347)[/ref] Heute würde er sagen müssen: Der Mensch ist ein BILD lesendes Schilfrohr. Und wenn Pascal fortfährt, dass seine ganze Würde in seiner Denkfähigkeit bestünde, dann wird man ganz melancholisch. Dass der Verlust des Verstandes laut Pascal nur einer Degeneration[ref]Il est déchu d’une meilleure nature qui lui était propre autrefois » (L.117)[/ref] zu verdanken sei, der Mensch einst die Denkfähigkeit besaß, macht die Sache auch nicht besser. In seiner „Psychologie der Massen“, von der man annimmt, dass sie die Hitler und Goebbels studiert haben, präzisiert Gustave Le Bon Pascals Einsicht mit der banalen Erkenntnis, „dass die Masse beinahe ausschließlich vom Unbewussten geleitet wird. Ihre Handlungen stehen viel öfter unter dem Einfluss des Rückenmarks als unter dem des Gehirns.“[ref]Stuttgart 1968. S. 19[/ref].
Jedenfalls haben schlaue Füchse den Verlust der Urteilskraft immer gut zu nutzen gewusst: Wer bestimmte Einstellungen hervorrufen will, die den eigenen Zielen günstig sind, der benötigt dann nur noch das ausreichende Kapital und die nötige Skrupellosigkeit.[dropdown_box] Das wusste Hugenberg, das weiß Erdogan und das wussten auch die Politiker der Nachkriegszeit. Meinungsvielfalt, gar Kritik störten sehr. So gründete Konrad Adenauer zunächst das ZDF, weil ihm die ARD zu kritisch war. Das hat es dann trotz Eduard von Schnitzler Gerhard Löwenthal nicht gebracht. Also sorgte Helmut Kohl dafür, dass Privatsender, die doch hoffentlich ihre Rendite über das Soziale stellen würden, das öffentlich-rechtliche System, den „Rotfunk“, in seinem Sinne in die Enge treiben konnten. War er dann enttäuscht, weil sie nicht in erster Linie direkt auf die – politischen – Einstellungen ihre Hörer einwirken wollten oder konnten? Denn sie zielen vorwiegend auf Rendite, Quote. Daher bringen die Radiosender als echte Konkurrenten fast ausschließlich die gleiche Musik, geben viel Geld für Marktforschung aus, um zu erfahren, wieviel Prozent der Zuhörer welche Musik hören wollen, müssen zu einem gewissen Anteil an Wortbeiträgen gezwungen werden, versuchen das Nichtssagende ihrer Wortbeiträge zu verbergen durch eine unglaubliche Heiterkeit, die ansteckend wirken soll und auf die Zuhörer bei Anrufen tatsächlich mit gleicher unglaublicher Heiterkeit reagieren, so dass man, wenn man einen Sender sucht, nur die alle gleich unglaublich aufgeräumten Moderatoren zu hören braucht, um zu wissen, dass im nächsten Augenblick die gleiche dumpfe Massenmusik ertönen wird, die man eben auf dem anderen Sender mit dem unglaublich aufgeräumten Moderator gehört hatte. Und die Privaten im Fernsehen suchen nicht das Gespräch mit dem aufregenden Deppendorf, sondern suchen und suchen ständig stellvertretend für Deutschland, das man gerne kosmopolitisch auch Germany nennt, Tänzer, Sänger, Köche, Models, Muttis, Marmeln, Regenwürmer …
Hat Helmut Kohl angesichts dieser unpolitischen Eintönigkeit also seinen Kampf gegen den „Rotfunk“ verloren? Nein! Totale Verblödung ist doch auch was Schönes. Und wagen wir es auszusprechen? Sie lässt sich (aus)nutzen.[/dropdown_box]