Sind Kunst und Vernunft mit einander vereinbar?

Ob Mounia Meiborg (SZ 23.12.15) es korrekt wiedergegeben hat?
Sie schreibt, dass der lettische Regisseur Alvis Hermanis, darin getreu der Linie seiner Regierungschefin folgend, einer gewissen Frau Straujuma, nicht am Hamburger Thalia Theater inszenieren will, weil dieses sich für Flüchtlinge engagiert. Das ist an sich schon sehr ulkig. Aber der Star-Regisseur der aktuellen Theaterszene Leander Haußmann habe in einem Beitrag für die “Welt” Hermanis’ Position verteidigt, indem er folgende Weisheit verkündete: “Theater muss über die Gegenwart hinauswachsen, es muss noch gelten, wenn die Gegenwart längst zur Vergangenheit geworden ist.” Also haben wir es richtig verstanden? Da das Theater nicht nur gegenwartsbezogen zu sein habe, sei es verständlich, dass Hermanis nichts mit einem Theater zu tun haben möchte, das sich für Flüchtlinge engagiert? Wohl, wohl!
Viel verborgene Weisheit liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in diesem schlichten Gedanken. Man wird einige Zeit nachdenken müssen, um ihn ganz zu begreifen. Ja, möglicherweise muss man sagen, dass der Künstler die reine Vernunft  als allzu banale Realität verabscheut und er sie daher in ein rätselhaftes Kunstwerk verwandelt?
Dem vielbewunderten Filmregisseur Syberberg, der dem ,müden, billigen Pluralismus’ den kraftvollen Willen Hitlers gegenüber stellt und von den Pariser Terroristen fasziniert ist, habe – so berichtet in der SZ (19.11.15) ein Tobias Lehmkuhl – , der Kunstphilosoph Boris Groys, der die Terroristen offenbar weniger faszinierend empfand, in einer Podiumsdiskussion “die Antwort gegeben”: “die Kämpfer des IS wollten begehrt und geliebt werden, deshalb sei ihnen (…) die öffentliche Wahrnehmung so wichtig”. Donnerwetter, das ist mal so eine richtige “Antwort”. Holla, wie der ihm Contra gibt!
Da muss man sich ducken, wenn man nicht, schwer von einem dieser Geistesblitze getroffen, anbetend niedersinken will.[dropdown_box]Doch damit nicht genug! Unglaublich, aber das Gespräch ist noch nicht zu Ende, sondern erreicht immer neue Höhen in der geistigen Himmelsweite: “Allerdings liege in ihrer (der Terroristen) Abhängigkeit von den westlichen Medien zugleich schon ihr künftiger Untergang begründet.” Oh, Mann, Alter! Das ist von einer Weisheit, dass man sich schämt: Warum – um Himmels willen – habe ich nicht so etwas gesagt? Wahrscheinlich würde ich sogar in der “Süddeutschen” zitiert.
Unerhört! Ja, wirklich, unerhört bleibt der Ruf: Tiefsinn, lass nach! Denn es geht Schlag auf Schlag weiter:
Bei der Tatsache, dass Syberberg das Gut seiner Familie im Osten zurückgekauft und den Wiederaufbau im Internet dokumentiert hat, handle es sich “klar um einen Fall von Kunst”, erklärte der geniale Boris Groys. Allerdings, klarer geht es wahrscheinlich wirklich nicht!! Und so muss Carl Hegemann ihm einfach beistimmen: Der Wohnsitz sei ein Gesamtkunstwerk, bei dem der Künstler im eigenen Bild verschwinde. Ja, Donnerwetter, da fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Genauso ist es! Und da dachten wir Banausen immer, der Künstler würde, wie alle anderen Menschen auch, an seinem Wohnsitz in die Wohnung durch eine Tür eintreten und nach dem Schließen der Tür in derselben verschwinden – wenigstens für den Außenstehenden. (Die Außenstehenden haben eben nur selten den großen Durchblick.) Doch irgendwie, irgendwo kam dann die ebenso geniale Replik mit Donnerhall: “Darauf allerdings wollte Syberberg sich dann doch nicht einlassen, denn Hitler sei der größte Gesamtkunstwerker aller Zeiten gewesen, und das habe schließlich auch zu nichts geführt.”
Man fasst es nicht! Welch glänzend scharfe Klinge wird hier geführt!
Und doch – ist es möglich? – kommt abermals in diesem geistigen Feuerwerk – man verzeihe den Bildwechsel – ein ebenso stringenter Einspruch:
“Da erhob Boris Groys ein letztes Mal Einspruch: Es gehe nicht um das Weiterführen. Nichts führe weiter. Die Welt sei endlich. Was wir auch täten, wir würden zwangsläufig scheitern. Darum sei Scheitern kein Beweis.”[ref]Es handelt sich übrigens keineswegs bei dem zitierten Artikel um einen Ulk, sondern um Originalzitate aus dem Beitrag mit dem bezaubernden Titel “Anregendes Begehren”.[/ref]
Beim heiligen Heidegger, das ist nun aber wirklich und wahrhaftig Tiefsinn pur. Leute, Leute, also echt: Tiefer geht’s nicht!

Sind also Kunst und Vernunft mit einander vereinbar?
Wer jetzt noch zweifelt,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Zur Ruhe kommen erst wird er,
wenn wahr ihm wird, was jeder weiß:
Göttin Athene eint in ihrem Wesen –
die Weisheit und die wahren Künste.[/dropdown_box]