Darf es etwas mehr sein?

Da lauscht man in der S-Bahn einem erschreckend dummen Gespräch zwischen zwei jungen Leuten, und am Ende stellt sich heraus, dass es angehende Lehrer waren.
„Du bist so töricht geworden, weil du Kinder unterrichtest! Du gibst ihnen dein bisschen Verstand, und sie lassen bei dir ihre ganze Dummheit. Ein Lehrer bist du, Mendel, ein Lehrer!“ Mit diesen wenig netten Worten beschimpft seine Frau den Lehrer Mendel
Singer.[ref]Joseph Roth: Hiob. In. Ders. Romane, Erzählungen, Aufsätze. Köln, Berlin 1964 . S. 204[/ref]

Über Schulpolitik reden? Gefährlich!
Plötzlich muss man in der Ecke stehen, und zwar in der rechten.

Trotzköpfe leben gefährlich. Doch die Gefahr lässt uns das Leben intensiver wahrnehmen. Hat das nicht schon der Krieger Ernst Jünger gesagt oder sonst einer?Als in einer mündlichen Prüfung zum Hamburger Abitur die gut vorzensierten Schüler aus dem Leistungskurs sich als äußerst schwach erwiesen, wurde der verantwortliche Fachlehrer zur Rede gestellt und konterte: „Die waren so schlecht, dass ich ihnen gute Noten geben musste.“[htsP anchor_text=Weiterlesen]
„Sonst hätten sie nicht mitgearbeitet,“ argumentierte Herr K. und hatte nicht ganz Unrecht.

Zwecks Objektivierung der Ergebnisse ließ die Hamburger Schullbehörde in der Mittelstufe – gleiche – Vergleichsarbeiten an allen Schulen schreiben. Die Beurteilung lag – selbstverständlich – bei den einzelnen Schulen.[ref]Auch beim Abitur hatte die Hamburger Behörde zunächst vorgesehen, dass ein Lehrer der eigenen Schule und zwei  fremder Schulen über die Note des Schülers entscheiden sollten. Naiv! Hui, wie schnell sie das  wieder zurückgenommen haben![/ref] Die eine oder andere Schulleitung meinte, die Beurteilungen seien im Vergleich zur anderen Schule zu schlecht ausgefallen, würden dem Ruf der Schule schaden und sollten daher angehoben werden. Das geschah und siehe da: Zufriedenheit allenthalben.

In Italien sind im Jahrgang 2016 nur 0,5% der Schüler beim Abitur durchgefallen; auch die meisten extrem guten Schüler fanden sich ausgerechnet im Süden.
Im Norden empörte man sich dagegen über die guten Noten im Süden, zumal internationale Tests ein exakt umgekehrtes Ergebnis gezeigt hatten.
In Süditalien herrscht aber Furcht, dass bei objektiven, d.h. schlechteren, Benotungen mehr Schüler die Schule vorzeitig abbrechen würden. Das kann ja niemand wollen, oder?

Hamburgs Schulbehörde hat gerade angeordnet, dass die Noten für die geschriebene Mathematik-Klausur „unter Abiturbedingungen“ generell um 3 Punkte (eine Note) heraufzusetzen sind[ref]https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Zentral-Abi-Aerger-um-miese-Probe-Klausur,abitur282.html[/ref], da sie zu schlecht ausgefallen war und so die Vornoten keine guten Perspektiven für ein erfolgreiches Abitur boten. Schlechteste Note muss folglich die 5+ (3 Punkte) sein. Sapperment, das ist wirklich human. Warum hatten sie die Klausur auch so schwer angelegt! Gutes Gelingen beim Abitur! Sollte die Klausur wieder so schwierig sein, ist von den Vornoten her wenigstens alles getan, damit nicht allzuviel schief läuft. Das Problem mit der Mathematik – oder schreibt man Matemathiek? – ist, dass der Ermessensspielraum relativ gering ist. Aber Ziel der Schulpolitik muss sein: glückliche Schüler, Eltern und  – Politiker![/htsP]

Always sunny in the rich man’s world! Aha-ahaaa!

Bisher konnte man sich darauf verlassen: Es bliesen alle ins selbe Horn. Man konnte sich treiben lassen vom sanften Wind der Verblödung. Doch dann das: Im Feuilleton der „Süddeutschen“ plötzlich ein Artikel gegen die uns so lieb gewordene Schulpolitik (Christoph Türcke: Lehrer raus 10.2.16), der er – Schreck, lass nach! – neoliberale Ideologie unterstellt.
Oh, oh! Seid auf der Hut! Wehret den Anfängen! Das darf um Himmels willen nicht trendig werden. Bisher musste man sich ja nur gegen die uneinsichtigen Lehrer wehren, die sich an das altmodische Lernen klammerten und frustriert über pädagogische Experimente jammerten, bloß weil sie nicht Neues lernen wollten.
Aber zum Glück: Der Mensch ist denkfaul. Er neigt zur Bequemlichkeit, suhlt sich in der Gemeinschaft. Wenn das doch alle sagen, wenn das doch „progressiv“ ist …
Achtung, deshalb gilt es am progressiven Image dieser Schulpolitik festzuhalten.
Die einzige politische Opposition in der Schulpolitik, die FDP, hat es noch nicht kapiert: Die heutige Schule fördert zwar keine Leistung, dient aber trotzdem der Klientel der FDP. Denn wenn das Abitur entwertet ist, leisten sich diejenigen, die es sich leisten können, Privatschulen, und diejenigen haben das Nachsehen, die es sich nicht leisten können, aber aufgrund ihrer Begabung gern mehr leisten würden. Die Aussage: „Leistung muss sich lohnen.“ ist ja nicht falsch, wenn sie dazu verwendet wird, diejenigen zu schützen, für die sich in Wahrheit das Nichts-Leisten lohnt, weil ihre Leistung darin besteht, ihr Kapital zu verwalten.
Wenn die Linken oder die vermeintlich Linken von der SPD die neue Schule eingeführt oder unterstützt haben, dann taten sie es aufgrund des lobenswerten Wunsches, die – sozial –  Benachteiligten zu fördern. Dass dieses Schulkonzept in der Praxis zu einer Gleichmacherei, allerdings auf dem Niveau der Leistungsschwachen, führt, das haben die „Progressiven“ zum Glück noch nicht kapiert. Geschickt konnten auch diejenigen von der CDU diesem Anliegen sozialer Gerechtigkeit Beifall spenden, die wie die FDP ihre Privilegien in Gefahr und die Rettung in den Privatschulen sahen. Über den Beifall von der falschen Seite, also der CDU, durften die vermeintlich Linken sich zwar wundern, mussten es aber nicht. Und die allgemeine Verblödung ist ja, wie man dank RTL2 usw. weiß, den Zielen der Verfechter neoliberaler Ideen durchaus förderlich[ref]wenn man von dem Problem absieht, dass die Verblödung auch rechtsextreme Tendenzen begünstigt, die eventuell den Interessen dieser Schicht nicht förderlich sein könnten.[/ref].[dropdown_box] Wir dürfen nicht müde werden, immer wieder das Gleiche vorzubringen, nämlich welche ungeheuren finanziellen Vorteile – Sparen! – es bringt, wenn man die Schulen zusammenführt, zu großen Gemeinschafts-, Stadtteil-, Gesamtschulen. Die (ober)lehrerhafte Frage, ob große Schulen für das Lernklima förderlich ist, muss in diesem Zusammenhang als nicht zielführend bagatellisiert werden.
Beispiele, wie man die geistige Verarmung fördern kann?
In den Fremdsprachen lässt man die Grammatik möglichst weg, und tut so, als wenn man in den wenigen Stunden bzw. in den wenigen Momenten der Stunden, in denen man die Sprache spricht, sich Sprachmuster einprägen könnte. Aber selbst wenn zwei Schüler, die ja nicht „native speaker“ sind, mit einander kommunizieren, kann das kaum möglich sein. Zwar könnte man theoretisch das Ziel als erstrebenswert ansehen, nämlich sich zunächst einmal in der Fremdsprache, wenn auch fehlerhaft bzw. mit Händen und Füßen zu verständigen; wer aber mehr lernen will, also auch grammatisch einigermaßen korrekt zu sprechen und zu schreiben, wer nicht nur die Lektionstexte des Lehrbuchs, sondern auch andere unbekannte Kommunikation hörend verstehen möchte, der hat wenig Chancen. Denn das würde einen sehr, sehr differenzierten Unterricht erfordern, was aber nur unter Einsatz einer enorm vergrößerten Menge an Lehrern möglich wäre, da ein einzelner Lehrer nicht für eine Stunde von 45 Minuten mit zwanzig individuell verschiedenen Schülern zwanzig verschiedene Unterrichtsentwürfe planen kann, die diese Schüler dazu bringt, 45 Minuten konzentriert  in eifriger Gruppen- oder Einzelarbeit, ohne unter der Bank auf ihrem Handy Spielchen zu treiben, ihrem Lernerfolg entgegen zu streben. Und das bei 20 oder mehr Stunden Unterricht in der Woche plus Korrekturen. Aber die Konsequenz können wir nicht wollen: Unmengen neuer Lehrer einstellen  – und  bezahlen?!!  Im Gegenteil, unser einziges Anliegen muss doch sein, zu sparen!
Oder – ha, ha – das individuelle Lernen im Deutschunterricht bei extrem heterogenen Lerngruppen: Die kompetenten und selbstlos arbeitenden Lehrer lassen den einen Schüler Lyrik analysieren, den anderen, der fast ein Analphabet ist, die Aussage eines BILD-Zeitungstextes verstehen lernen usw. Denn es sind ja alle, alle inkludiert. Die Tatsache, dass heterogene Lerngruppen schlechter zusammen lernen als homogene, unterstützt die angestrebte allgemeine Retardierung.
Und der Clou: Weil man ja, wie alle amerikanischen Psychologen versichern, niemanden mit einer kritischen Note verunsichern und damit den Lernerfolg mindern sollte, darf man nur gute Noten geben[ref]Aussage eines Hamburger Lehrers, der einst in der mündlichen Abiturprüfung seines Deutsch-Leistungskurses wegen seiner unfasslich guten Vorzensuren und der mangelnden Fähigkeiten seiner Schüler in der Prüfung zur Rede gestellt wurde: Ich musste gute Noten geben, weil sie so schlecht waren – sie hätten sonst nicht mitgearbeitet.[/ref]. Das führt zunächst zu einer Entwertung der Noten, des Abiturs, dann zu dessen Abschaffung. Und was tritt an seine Stelle? Hosianna! Donald Trump und teure private Lehrinstitute als Schulen oder Universitäten. Ach, USA, du hast es besser. Aber nicht mehr lange! Mit Bildung handeln! Welch ein herrliches neues Geschäftsfeld: Studenten der Unter- und Mittelschicht, die ein Leben lang die Schul- bzw. Studiengebühren abbezahlen müssen? Da muss einem doch das Herz aufgehen. Ahaaa!
Money, money, money
Must be funny
In the rich man’s world
Money, money, money
Always sunny
In the rich man’s world
Aha-ahaaa[/dropdown_box]

Latein forever

In Ungarn will Orbán die Gymnasien reduzieren. Mal abgesehen davon, dass auch Gymnasien verdummen können, stimmt die Zielrichtung. Denn die Staatsmedien zu beherrschen dient zwar den Interessen der Herrschenden, aber Gehirnwäsche, Verblödung kann nie umfassend genug sein.
In Deutschland streiten sie gerade darüber, ob Lateinunterricht ein „sine qua non“ (das ist Latein und heißt soviel wie „ein absolutes Muss“) darstellt. Da werden schreckliche Geschütze in Stellung gebracht. Ein Leserbrief in der SZ zitiert zwar nicht den Papst, aber Schopenhauer: „Ein Mensch, der kein Latein versteht, gleicht einem, der sich in einer schönen Gegend bei nebligem Wetter befindet.“ Ein echter Schopenhauer! Haut einen einfach um. Die Bildungsministerin von NRW, eine gewisse Frau Löhrmann[ref]Man muss hier allerdings feststellen, dass Frau Löhrmann Bildungsministerin ist, aber ihre Sprache sie nicht unbedingt dafür qualifiziert. Hier einige Beispiele aus einem Interview mit der „Süddeutschen“ vom 13.1.14 S.13
„Politik und Wissenschaft mussten sich neu aufstellen,“
„Die Studien mahnen uns immer wieder, dass wir bildungsgerechter und leistungsfähiger gestalten müssen,“
Ich weiß, „welche ein komplexer Mechanismus Schule ist. Und dass Politik die Schulen bei Veränderungen begleiten muss.“
„Wir müssen das Kapital der Migranten nutzen.“
„Einen besonderen Akzent möchte ich in der Erinnerungskultur setzen.“
„Zum anderen werden wir die Inklusion in der Lehrerbildung angehen und sogenannte Basismodule formulieren (…)“
„Individuelle Förderung steht ja überall auf der Tagesordnung.“
„Hier ist der föderale Wettbewerb gefragt.“[/ref], hält Latein im Lehramt für „hilfreich“, aber „nicht unbedingt nötig“. Ja, was ist das denn? Kann man sich denn, so der Altphilologenverband „von einer über 1000-jährigen Bildungstradition“ verabschieden? Nein, gewiss nicht, denn was so alt ist, muss natürlich bleiben. Darüber streite ich auch mit meiner Frau, die unbedingt den alten Kühlschrank entsorgen will.[dropdown_box] Auch die Partei der abendländischen Kultur und Bildung, die CDU, ist in Rage über den „Anschlag auf die Bildung“. Wenn der gebildete BILD-Leser in seiner Freizeit seinen Lieblingsautor Ovid lesen möchte: „Ille ego qui fuerim, tenerorum lusor amorum, quem legis, ut noris, accipe posteritas. Sulmo mihi patria est, gelidis uberrimus undis …“ und feststellt, dass ihm das alles Hekuba ist – oh, heilige Merkel, welche Katastrophe! Und die CDU, der ja so sehr am Denken gelegen ist, ist auch deshalb empört, weil man durch Latein das Denken lerne. Aber die Bildungsministerin kontert mit der die CDU überraschenden Feststellung: „Man kann auch auf Deutsch denken lernen.“ Aber, aber aber … mit den Kenntnissen der lateinischen Grammatik könne man doch die Grammatik der anderen Sprachen, Deutsch, Englisch, Französisch, besser lernen. Mag sein, aber mit Hilfe der Kenntnisse der deutschen, französischen usw. Grammatik kann man auch die lateinische, spanische usw. besser lernen. In den Hamburger Schulen gibt es dies Problem Grammatikunterricht nicht. Hier versteht man unter Fortschritt, dass das Schülerinteresse im Mittelpunkt zu stehen hat, und Schüler mögen keine Grammatik.[/dropdown_box]