Orwell

Die subtilste Form der Gedankenpolizei ist die, bei der die Opfer den Gedanken, möglicherweise als hilfloses Objekt der Gedankenpolizei ausgeliefert zu sein, unter dröhnendem Gelächter ins Reich des Absurden verweisen.
Da gibt es Menschen in Deutschland, denen es immer schlechter geht, so dass einige von ihnen drei Jobs gleichzeitig machen müssen, um sich über Wasser zu halten, und nicht wissen, wovon sie im Alter leben sollen. Und es gibt welche, die sind schon so reich, dass sie, wenn sie Lust haben, den ganzen Tag an der Côte d’Azur nur mit Golfspielen verbringen können und trotzdem immer nur reicher und reicher werden. Und diejenigen, die zu keiner der beiden Gruppen gehören, sagen, das betreffe sie nicht, und falls keine fremd Aussehenden in ihre Nähe kämen und ihnen Angst einjagten, könne alles so bleiben, wie es ist. Ihnen würde schon nichts passieren; dafür würden die da oben schon sorgen, die Schäubles und Lindners. Die sagen ja selbst, dass sie für das Wohl aller einträten, und warum sollten sie lügen?! Wer etwas anderes behaupte, sei ein Kommunist. Das wisse doch jeder; daran könne man sie ja gerade erkennen. Und Hitler (National s o z i a l i s t ) und Stalin waren auch so welche. Pfui. Die wollen einem nämlich  a l l e s  wegnehmen, alles Eigentum, so dass man sich nur noch von Beeren und Nüssen und was man sonst so findet (Insekten?), ernähren müsse. Da könnten die noch so viel von  Marktwirtschaft und Reformen schwatzen; das nähme ihnen doch keiner ab. Man sei ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen!
Nun gibt es auch in Frankreich die Gedankenpolizei, und zwar kontrolliert sie noch umfassender als in Deutschland, wo in den Medien auch manchmal abweichende Meinungen zu Wort kommen dürfen, weil man ja weiß, dass diese dank RTL und BILD kaum wahr genommen werden. Und angesichts ihres Wahlsystems hätten die Franzosen allen Grund zu umfassender Gleichgültigkeit. Aber dann geschieht ein Wunder, und die Linke kommt in Frankreich auf 23 Prozent Wählerstimmen. Die Menschen haben sich nicht einfach die Ohren zugehalten, wenn Melenchon etwas zu sagen hatte. Tja, was ist das?  Haben wir Deutschen wie immer einfach die bessere Polizei? Na, die französische Polizei ist doch wegen ihrer Brutalität berüchtigt. Also ganz einfach ein Wunder?
Mag sein. Aber Wunder kann man nicht erklären; man kann sich nur wundern.

Wagala, wallala, o weiala

Neulich in einem der Politmagazine des Fernsehens eine Befragung in verschiedenen sozialen Milieus: Was verstehen Sie unter Gerechtigkeit? Platon hätte die Frage wohl anders gestellt: Was ist ungerecht? Jedenfalls fielen die Antworten – wer hätte das gedacht? – sehr unterschiedlich aus: Die Herren und Damen in der Oper, die von ihren Kapitalerträgen leben, meinten: Das mit der Umverteilung sei nicht gerecht, denn es sei ja jeder seines Glückes Schmied. Die meisten von denen da unten wollten sich nämlich nicht anstrengen, wollten die Leistung, die zum Wohlstand führt, nicht bringen – anders als sie selbst, die ihn zum Teil unter großen Anstrengungen ererbt oder mit erheblicher Selbstverleugnung angeheiratet hätten.
Im zusammengebrochenen „kommunistischen“ System fuhren die Machthaber in Limousinen hinter verdunkeltem Panzerglas durch die Gegend und brauchten dem Volk nicht ins Auge zu schauen. Auch heute kann der Geldadel das gemeine Volk meiden, sich in seine Burg hoch droben zurückziehen und in Bayreuth Woglindes „Wagala weia! Wallala, weiala weia!“ lauschen und sich verzückten Auges von Wagners Pompmusik berauschen und in der Pause sich über das Kostüm der ,fantastischen’ Maria Müller und die Vorzüge des neuen Porsche Cayenne, des neuen Gerhard Richter oder über die deutsche Neidkultur unterhalten.[htsP anchor_text=”Weiterlesen”]
Und da in ihren Augen der €uro leuchtet und die Kleinbürger und Facharbeiter ohnehin nicht zu ihren Kreisen gehören, sind sie blind für das, was sich ereignet, und im Grunde ist es ihnen ja auch sowas von egal. Denn sollten auch einige Lindners oder Schäubles ihren Job verlieren, so werden sie durch andere gleicher Art ersetzt. Na und? Und wie in den Dreißigerjahren entsteht bei denen, die seit einem Vierteljahrhundert immer weniger verdienen,  das Gefühl, „denen da oben“ egal zu sein und es ihnen mal zeigen zu müssen. Und da sie dank „BILD“ und RTL – und äquivalenten kapitalgesteuerten Medien weltweit – systematisch verblödet wurden, meinen sie auch jetzt in Europa und den USA das Minderwertigkeitsgefühl kompensieren zu müssen, indem sie sich als Angehörige einer überlegenen – nein, nicht rassistischen, i wo – sozialen Einheit, nämlich des polnischen, ungarischen, französischen, englischen, amerikanischen, deutschen Volkes aufblähen. Aber das braucht die Dame in der Oper nun wirklich nicht zu interessieren, solange BILD und RTL usw. dafür sorgen, dass dieses unangenehme „Volk“ nicht etwa sogenannte „Linksradikale“ – heute würde auch Ludwig Erhard von den Medien als Linksradikaler angeprangert – wie Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélenchon, Oskar Lafontaine oder Bernie Sanders wählt, sondern die anderen Zukurzgekommenen, die in Deutschland Adolf oder Björn heißen, oder die Unersättlichen, mögen sie Donald oder Marine oder Tayip heißen, und das Sozialistische, zudem nationalsozialistisch eingefärbt, zu vertreten scheinen, aber In Wahrheit  nur das eigene “Heil!” suchen.[/htsP]