Populistische Kritik an der populistischen Kritik des Populismus

Spanische Jugendarbeitslosigkeit bei 45%, allgemeine Arbeitslosigkeit bei 20%. Bis auf die Klasse der Reichen müssten alle Familien klagen. Und Obama erdreistet sich, in Spanien die Austeritätspolitik zu kritisieren. Aber das korrupte Regime von Rajoy gewinnt bei den Wahlen noch Stimmen hinzu.
Wie kann das sein?
Camerons Neoliberale bringen sein Land in ökonomische Schieflage. Sie versprechen der Wirtschaft Steuererleichterungen, die Groß Britannien auf das Niveau von Steueroasen senken würden, natürlich auf Kosten der Sozialleistungen und verbunden mit Steuererhöhungen für den Rest der Zahler. Und die Briten jagen  sie nicht aus dem Land.
Wie kann das sein?
Donald Trump redet einen Blödsinn, der sogar einen Bild-Leser wundern könnte, aber die Amerikaner tun so, als wenn er kein Irrer wäre. Die Republikaner leugnen den Klimawandel und beten statt dessen für besseres Wetter, halten allgemeine Krankenversicherungen für Teufelszeug usw. usw.
Wie kann das sein?
Murdoch scheint in Groß Britannien die Politik zu lenken, denn er hat – so vermuten seriöse Beobachter – dafür gesorgt, dass Boris Johnson nicht für den Premierministerposten kandidiert, indem er andernfalls seine Unterstützung für die Tories versagt.
Kann das sein?
Die Verträge von CETA und TTPP sollen möglichst heimlich abgeschlossen werden.

„Populisten“ – damit wären wir wieder bei unserem Lieblingsthema – neigen zu Verschwörungstheorien. Wahrscheinlich ist umgekehrt auch jemand, der Verschwörungen sieht, ein „Populist“. Wer z.B. glaubt, dass das Kapital, d.h. die Murdochs, die Koch-Brüder usw., mittels seiner gekauften Medien die öffentliche Meinung so lenkt, dass die Menschen offensichtlich gegen ihre eigenen Interessen handeln, ist nicht nur einem Verschwörungswahn erlegen, sondern auch natürlich ein „Populist“.[dropdown_box]
Wer seine Freude am Begriff „Populismus“ auf einen neuen Höhepunkt treiben möchte, der muss Thomas Steinfeld in der „Süddeutschen“ [ref]im Feuilleton vom 11.7.16[/ref] lesen, wo er – das kann einen wirklich vom Hocker reißen – über die „populistische Kritik des Populismus“ schreibt. Als wahrer Schlaumeier stellt er die rhetorische Frage, warum es „als etwas Verwerfliches gelten soll“, „Teile der Bevölkerung mit ihren eigenen Ansichten zu bedienen“. Diese Ansichten seien nämlich nur etwas radikalisierte Ansichten von dem, was auch demokratische Parteien vertreten. Also, halb so schlimm? Man muss nur mit ihnen reden? Na ja, wenn diese Teile der Bevölkerung nun mal gerne Häuser anzünden, sofern darin Flüchtlinge wohnen, ist diesen Leuten dann etwa „nicht zu trauen, wünscht man sich statt dessen einen Autokraten?“
An dieser Stelle muss man den Autor loben, der sonst in seinen Formulierungen schlampt[ref]„Die Empörung (…) ist eine hilflose Angelegenheit.“ – Vielen Populisten „eignet“ „das Schrille.“[/ref]: Welch raffiniert konstruierte Alternative! Sie erinnert an die verkaufsfördernde Alternativfrage, die die Kellner im Grand Hotel dem nach einem Würstchen verlangenden Kunden stellt: „Möchten Sie Ihr Würstchen mit Hummer oder Austern als Beilage?“
„Populistisch“ ist es nach Steinfeld, wenn besagte „Teile der Bevölkerung“ einfach mit dem Schimpfwort „Populisten“ belegt werden und nicht „argumentiert“ werde. „Wer solche Urteile fällt (wie „Populist“, „Rassist“, „Faschist“), sollte sie erklären können. Er tut es aber nicht.“ Das sei populistisch. Aha! Alle Achtung, das ist ganz, ganz fein, wie Herr Steinfeld, die ziemlich blödsinnige Kampfbezeichnung „Populismus“ selbst benutzt, um deren Verwendung zu schmähen.
Als wahrer Sokrates verlangt er: Bevor ihr die „Teile der Bevölkerung“ als Faschisten, Rassisten beschimpft, solltet ihr zunächst definieren, was ihr eigentlich unter „Faschismus“ und „Rassismus“ versteht! Dabei sollte man allerdings am besten übersehen, dass geisteswissenschaftliche Begriffe mehr oder weniger schwammig sind und sich fast nie klar abgrenzen lassen, ihr Verständnis vielmehr letztlich auf einer sozialen Übereinkunft beruht, so dass man zwar im allgemeinen durchaus weiß, was ein Faschist oder Rassist ist, aber gerade die Beliebtheit der relativ neuen Kampfbezeichnung „Populismus“ auf ihrem besonders hohen Grad an Schwammigkeit beruht.[ref]Was z.B. Kunst ist, was ein Roman ist, darüber lässt sich lange und ergebnislos streiten.[/ref] Diese Eigenschaft wird immer wieder gern benutzt, um im allgemeinen Bewusstsein durchaus vorhandene Grenzen zu verwischen.[ref]So kann es in einer Diskussion über Drogensucht geschehen, dass plötzlich alles irgendwie “Sucht” ist, z.B. Arbeitswut oder intensives soziales Engagement.[/ref] Steinfeld ,argumentiert’, „dass es keinen Nationalstaat gibt, der nicht zwischen ,wir’ und ,sie’ (… ) unterschiede – weshalb der Rassismus bei einem Verhältnis zum Fremden beginnt, das seinen Ausgang in demokratíschen Verhältnissen nimmt.“ Der Rassismus sei also nur eine Radikalisierung dieses in der Demokratie ganz normalen Gegensatzes. Was nun diese ,Erkenntnis’ zur geforderten argumentativen Auseinandersetzung beitragen soll, bleibt jedoch leider ein Geheimnis des Autors.
Vielmehr leitet er aus dem – bloß radikalisierten – Gegensatz von „wir“ und „ihr“ das Entstehen von Verschwörungstheorien ab, was den Gedankengang abbricht und endlich (!) ein neues Thema anschlägt, nämlich die dem Populisten eigene Realitätsferne. Dass er hierbei als Beispiel ausgerechnet eine Beschimpfung in Form einer offensichtlich fiktiven Forderung eines Politikers der Lega Nord anführt, nämlich dass “man die römischen Bürgermeister der vergangenen Jahre allesamt auf einer Insel im Pazifik aussetzen, umgeben von Haifischen“ möge, sollte aber nicht zu Zweifeln an den intellektuellen Fähigkeiten des Autors führen.
Nun könnte man fragen: Alles gut und schön. Aber wozu um Himmels willen diese Auseinandersetzung mit diesem wenig bemerkenswerten Feuilletonbeitrag?
Nun, Steinfeld erkennt im Populismus die „beliebte Verschwörungsfantasie, die herrschende Politik gründe auf undemokratischen Absprachen“.
Das hat unseren Beschützerinstinkt herausgefordert: Die arme Verschwörungsfantasie wird von überall her angegriffen. Da heißt es hier und überall: Rettet die Verschwörungsfantasie![/dropdown_box]