– Hat nicht ein jeglicher Mensch Hände, Gliedmaßen, Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet von eben dem Winter und Sommer als jeder andere? Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht? Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht?
– Ja, alles gut und schön, aber die Hautfarbe, die Kleidung, die Sprache! Das ist doch irgendwie anders. Letztlich gar nicht vergleichbar. Es ist ja auch nicht so, dass wir gar kein Herz hätten. Und wenn wir euch stechen, vergiften, anzünden, in die Luft sprengen, dann tun wir das mit Bedauern, denn wir sind ja keine Unmenschen.
Oder doch?
„Wenn Abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: ,Ach, es gruselt mir!’ Der jüngste Sohn saß in einer Ecke, und hörte das mit an, und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte“, so erzählt es das Märchen „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“.
Das Grauen vor dem Menschen kennt ihr nicht? Ihr glaubt an das Gute im Menschen und meint, dass wir doch alle Menschen, d.h. menschlich, sind, ob wir nun Meyer heißen, Schulze oder Höcke. Dann soll euch ,die Haut schaudern’. [dropdown_box]Dazu lassen wir einen Massenmörder zu Wort kommen, der ja auch nur ein Mensch war, der, wie man erfährt, in heroischer Selbstverleugnung sein „Mitgefühl“ mit dem „Mitmenschen“ zu unterdrücken verstand und so seiner „Pflicht“ als Massenmörder nachkam, nämlich Rudolf Höss, den SS-Mann und Leiter des Vernichtungslagers Auschwitz:
„So recht zum Bewusstsein ist mir diese erste Vergasung von Menschen nicht gekommen, ich war vielleicht zu sehr von dem ganzen Vorgang überhaupt beeindruckt. (…) Über die Tötung der russischen Kriegsgefangenen an und für sich machte ich mir damals keine Gedanken. Es war befohlen, ich hatte es durchzuführen. Doch ich muss offen sagen, auf mich wirkte diese Vergasung beruhigend, da ja in absehbarer Zeit mit der Massen-Vernichtung der Juden begonnen werden musste, und noch war weder Eichmann noch mir die Art der Tötung dieser zu erwartenden Massen klar.(…)
Es kamen nun im Frühjahr 1942 die ersten Judentransporte aus Oberschlesien, die alle zu vernichten waren. (…) Aumeier, Palitzsch und noch einige Blockführer führten sie und unterhielten sich mit ihnen möglichst harmlos, frugen nach Berufen und Kenntnissen, um so zu täuschen. Am Gehöft angekommen, mussten sie sich ausziehen. Sie gingen auch zuerst ganz ruhig in die Räume, wo sie desinfiziert werden sollten. Bis dann einige doch stutzig wurden und von Ersticken, von Vernichten sprachen. (…) Bei den nächsten Transporten wurde von vornherein nach den unruhigen Geistern gefahndet und diese nicht aus den Augen gelassen. Machte sich Unruhe bemerkbar, so wurden die Unruheverbreiter unauffällig hinter das Haus geführt und dort mit dem Kleinkalibergewehr getötet, das war von den anderen nicht zu vernehmen. (…) Wichtig war vor allen Dingen, dass bei dem ganzen Vorgang des Ankommens und Entkleidens möglichst größte Ruhe herrschte. Nur kein Geschrei, kein Gehetze. Wenn sich einige nicht ausziehen wollten, mussten schon Ausgezogene helfen oder die vom Sonderkommando. Mit gutem Zureden wurden auch Widerspenstige besänftigt und ausgezogen.(…)
Ab und zu kam es auch vor, dass Frauen während des Ausziehens plötzlich markerschütternd losschrien, sich die Haare ausrissen und sich wie wahnsinnig gebärdeten. Schnell wurden sie herausgeführt und hinter dem Haus mit dem Kleinkalibergewehr durch Genickschuss getötet. Es kam auch vor, dass Frauen in dem Augenblick, als die vom Sonderkommando aus dem Raum gingen und sie merkten, was nun geschehen würde, uns alle möglichen Verwünschungen zuschrien. Ich erlebte auch, dass eine Frau aus der Kammer beim Zumachen ihre Kinder herausschieben wollte und weinend rief: “Lasst doch wenigstens meine lieben Kinder am Leben.” So gab es viele erschütternde Einzelszenen, die allen Anwesenden nahegingen. Im Frühjahr 1942 gingen Hunderte von blühenden Menschen unter den blühenden Obstbäumen des Bauerngehöftes, meist nichtsahnend, in die Gaskammern, in den Tod. Dies Bild vom Werden und Vergehen steht mir auch jetzt noch genau vor den Augen. (…)
Schon der Vorgang der Aussortierung an der Rampe war reich an Zwischenfällen. Durch das Auseinanderreißen der Familien, die Trennung der Männer von den Frauen und Kindern, kam schon eine große Aufregung und Unruhe in den ganzen Transport.(…) Wie ich schon mehrfach sagte, haben die Juden einen stark ausgeprägten Familiensinn. Sie hängen aneinander wie die Kletten. (…)
Das Leben und das Sterben der Juden gaben mir wahrhaft Rätsel genug, die ich nicht zu lösen imstande war. Alle diese Erlebnisse, diese Vorkommnisse, die ich hier schilderte und die ich noch durch unzählige vermehren könnte, sind ja nur Ausschnitte aus dem gesamten Vorgang der Vernichtung, sie sind nur Streiflichter.
Wohl allen, bis auf wenige Ausnahmen, der zu dieser ungeheuerlichen „Arbeit“, zu diesem „Dienst“ Kommandierten und wie auch mir selbst haben diese Vorgänge genug zu denken gegeben, haben tiefe Eindrücke hinterlassen. (…) Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht einmal in der Erregung über eben Erlebtes meine inneren Zweifel und Bedrückungen erkennen zu lassen, kalt und herzlos musste ich scheinen, bei Vorgängen, die jedem noch menschlich Empfindenden das Herz im Leibe umdrehen ließen. (…) Ich durfte nicht die geringste Rührung zeigen. Ich musste alle Vorgänge mitansehen. Ich musste, ob Tag oder Nacht, beim Heranschaffen, beim Verbrennen der Leichen zusehen, musste das Zahnausbrechen, das Haarabschneiden, all das Grausige stundenlang mitansehen. Ich musste selbst bei der grausigen, unheimlichen Gestank verbreitenden Ausgrabung der Massengräber und dem Verbrennen stundenlang dabeistehen. Ich musste auch durch das Guckloch des Gasraumes den Tod selbst ansehen, weil die Ärzte mich darauf aufmerksam machten. Ich musste dies alles tun – weil ich derjenige war, auf den alle sahen, weil ich allen zeigen musste, dass ich nicht nur die Befehle erteilte, die Anordnungen traf, sondern auch bereit war, selbst überall dabeizusein, wie ich es von den von mir dazu Kommandierten verlangen musste. […]
Ich musste den Vernichtungsvorgang, das Massenmorden weiter durchführen, weiter erleben, weiter kalt auch das innerlich zutiefst Aufwühlende mitansehen. Kalt musste ich allen Vorkommnissen gegenüberstehen. Doch auch kleinere Erlebnisse, die vielleicht den anderen gar nicht so zum Bewusstsein kamen, kamen mir so schnell nicht aus den Gedanken. Und ich hatte mich doch in Auschwitz wahrhaftig nicht über Langeweile zu beklagen.“ ((Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen des Rudolf Höss. Hg von Martin Broszat. München 1963. dtv-dokumente. Bd. 114. S. 126-133))
So tüchtig wie der exzellente Logistiker Höss und seine Ingenieure waren auch die honorigen Leiter der Firma IG Farben: Immer im Dienst der Firma und ihrer Aktionäre forderten sie u.a. 200 Frauen aus Konzentrationslagern an zwecks ,Durchführung wissenschaftlicher Experimente’ an ihnen. Denen die Frauen – bedauernswerter Weise? – alle qualvoll erlagen. Die geforderten 200 Mark pro Exemplar verstanden sie geschickt auf 170 herunterzuhandeln. Gut – für die Aktionäre.
Ecce homo!!! Da ist er, der Mensch.[/dropdown_box]