Von Weicheiern und harten Nüssen

Als bei einem TV-Duell in Brasilien Flavio Bolsonaro, der Sohn des heutigen Präsidenten, in Ohnmacht fiel, leistete eine Ärztin, die für die Kommunisten kandidierte, Nothilfe, bis sein Vater dem entsetzt Einhalt gebot: Kommunisten dürfen seinen Sohn nicht anrühren.
Dagegen hat der SPD-Politiker Serdar Yüksel einen AfD-Politiker, der einen Herzstillstand hatte, nicht nur wiederbelebt, sondern will ihn auch noch im Krankenhaus besuchen. (Süddeutsche Zeitung 2.11.18)
Der arme AfDler konnte sich nicht wehren. Aber wo war sein Papa?

Schauergeschichten

„Sehen Sie zum Beispiel mich, wie ich mich anpasse. Angenommen die Erde dreht sich morgen auf einmal andersrum. Und was tue ich? Na, ich passe mich an. Und zwar sofort! Und wissen Sie auch wie? Ich würde einfach mal schnell zwölf Stunden zusätzlich schlafen, und schon wäre die Sache erledigt! Fertig ab! Zack, zack! Das ist nicht mal besonders schlau! Und schon ist’s geschafft … Hab ich nicht Recht? Aber es gibt Menschen wie den Josef, wenn die Erde sich auf einmal andersrum dreht, dann schläft er gar nicht mehr!… Das würde der irgendwie als persönliche Ungerechtigkeit auffassen! … Zu viel Ungerechtigkeit! … Die Ungerechtigkeit ist sowieso seine Marotte! … Was hat der mir alles über Ungerechtigkeiten erzählt, als er noch mit mir zu reden geruhte… Und glauben Sie nicht, dass der sich mit Gejammer begnügt. Das wäre ja nur halb so schlimm! Neinnein! Der würde sich sofort eine Sache ausdenken, mit der er die ganze Erde in die Luft jagen könnte. Und das Schlimmste, ich werd Ihnen sagen, was das Schlimmste ist … Aber das bleibt bitte unter uns … Und zwar wäre das, dass er so eine Sache auch finden würde! … Ich versprechs Ihnen! Ach! Merken Sie sich’s gut, was ich Ihnen jetzt erkläre, ja … Es gibt einfache Narren, und außerdem gibt es noch ganz andere Narren, diejenigen, die von der fixen Idee der Weltverbesserung zerfressen werden …“ (nach Céline, Reise ans Ende der Nacht. Reinbek 2004 S. 546)
Schaurig?
Schauergeschichten sollen realistisch sein, aber nicht real. Der Holocaust ist z.B. nur grässlich, und man kann nicht darüber schreiben, es sei denn man ist ein Jurek Becker und schreibt den unglaublich guten Roman „Jakob der Lügner“ oder man schreibt sich etwas von der Seele wie Tadaeusz Borowski in „Die steinerne Welt“.
Es soll nicht das Grässliche, es soll das Böse sein, das uns in den Fiktionen schaudern macht. Daher kann der Schriftsteller – wie Stevenson – den Menschen aufspalten in einen halbbösen Dr Jekyll und Mr Hyde, oder er lässt ihn – wie Frankenstein bei Shelley – ein Monster bauen, das dem Menschen nur gleicht, das man aber sofort als „nicht normal“ erkennen kann.

Frankensteins Monster

Aber schrecklich schaudern machen kann uns ja doch auch der banale Mensch: Er hat tatsächlich zwei Augen, zwei Ohren, eine Nase , einen Mund, auch wohl ein Hirn. Aber er liest die BILD-Zeitung und will, dass die Fremden, die fremden Mädchen, Jungen, Säuglinge, Frauen, Männer, im Mittelmeer ersaufen. Und dafür würde er sich auch dem Terror von Nazis unterwerfen. Oder er will, wenn er Brasilianer ist, einen Herrscher nach Art des Präsidentschaftskandidaten Bolsonaro, der über Pinochets Diktatur sagt, dass sie den ,Fehler gemacht habe, „mehr gefoltert als getötet“ zu haben, dass „Menschenrechte der Dung für Verbrecher“ seien, und der bei dem zweifelhaften Verfahren zur Absetzung der Präsidentin Dilmar Roussef im Parlament verkündete, dass er seine Stimme ihrem Folterer unter der Militärdiktatur, dem Colonel Albertpo Brilhante Ustra, widme. Ustra, so muss man sagen, ist irgendwie schon ein gruseliger Kerl. Nachdem er z.B. die politische Gefangene Amélia Teles u.a. nackt durch Elektroschocks an Vagina, Brüsten und Anus gefoltert hatte, so dass sie blau angelaufen und besudelt war von ihrem Urin und Erbrochenem, ließ er ihre vier- und fünfjährigen Kinder holen und führte ihnen ihre Mutter vor. ((So berichtet Eliane Brum in der „Süddeutschen“ vom 25.10.2018.)) Ob Bolsonaro auch so selbstlos im Dienste des Vaterlandes foltern durfte, ist nicht bekannt. Aber er propagiert Sterilisation als Mittel gegen Armut und Verbrechen. Als echter Kerl genießt er seine Bösartigkeit auch, indem er einer Politikerin an den Kopf warf: „ Ich werde dich nicht vergewaltigen. Du hast es nicht verdient.“

Bolsonaro

Denn sie sei „zu hässlich“. Dunkelhäutige brasilianische Fußballer wie Cafu oder Ronaldinho werben für ihn, obwohl er geäußert hat, dass seine Töchter keinen Schwarzen heiraten würden, weil sie wohlerzogen seien. Sowohl Cafu als auch Ronaldinho haben übrigens zwei Augen usw. und sollen auch über Hirn verfügen.
Man muss zugeben: Wenn es nicht wahr wäre, wäre es gut erfunden. Der besondere Effekt dabei: Das schaurig böse Monster ist i
m Aussehen von normalen Menschen kaum zu unterscheiden. Und darum wird Bolsonaro auch zum zukünftigen brasilianischen Präsidenten gewählt.

Der Listenreiche!

In Brasiliens besten Kreisen herrscht unverhohlen große Freude, obwohl noch gar kein Karneval ist. Denn ihr korrupter Präsident Temer – ein mitgeschnittenes Telefonat ist u.a. ein eindeutiger Beweis für seine Korruptheit  – hat erfolgreich verhindert, dass der Staatsanwalt ihn vor Gericht bringen kann. Dafür hätte eine Mehrheit der Abgeordneten des Parlaments, das auch als durch und durch korrupt gilt, die Anklage billigen müssen. „So flossen in den letzten Tagen umgerechnet eine Milliarde Euro an Abgeordnete, die gelobten, für Temer zu stimmen.“ ((Tagesspiegel 3.8.17)) Auch die Unternehmer waren vermutlich wieder spendabel. Sie lieben und lenken Temer, den Listenreichen, aus vollen Herzen und Taschen. Wohin man blickt, Gewinn, Gewinn, Win, Win und nochmal Win – wenn man nur nicht überall hinblickt. Wirtschaft fördern, Sozialausgaben kürzen: Die FDP blickt neidisch nach Brasilien. Natürlich muss es auch Verlierer geben. Nicht erst von Robert Mercer, amerikanischem Milliardär  und Förderer von Trump und Bannon, wissen wir: Armut ist eine Schwäche, die nicht auch noch mit Almosen aus Steuergeld unterstützt werden darf. ((Thorsten Denkler Süddeutsche Zeitung 21.8.17)) Man ahnt, wer die fünf Prozent sind, die Temers Politik zustimmen. ((Könnten es die Vertreter wirtschaftlichen Sachverstandes mit ihrem Engagement für die – wirtschaftliche – Freiheit sein?))  Nachdem Temer, auch genannt der Teppichhändler, diesmal mit Geld nichts erreicht zu haben scheint, beantragte er beim Obersten Gerichtshof wegen der Ermittlungen gegen ihn und angeblicher Parteilichkeit die Suspendierung des Staatsanwalts. Der Staatsanwalt aber ist ein sehr schlechter Verlierer, da er weitere Anklagen gegen Temer vorbereitet. Das kann nun aber natürlich Temer nicht dulden. Eilig traf sich Temer, da die Amtszeit des Staatsanwalts ja schon im September endet, mit seiner Stellvertreterin, allerdings in direktem Gespräch – ganz ohne Telefon. Ach, zu gerne wüsste man, was er von ihr wollte. Aber das verrät er nicht. Der Mann ist eben ein Fuchs!

Brasilien, nun mach schon!

Was haben wir uns gefreut, als in Brasilien Michel Temer putschte, indem er Dilma Roussef in einem zugegeben dubiosen Amtsenthebungsverfahren absetzte und an ihre Stelle trat: Olympisches Gold im Klassenkampf!
Zwar wussten wir, dass er und seine Leute reichlich korrupt waren – so musste er sechs seiner Minister in den ersten Monaten wegen Korruptionsvorwürfen entlassen und er selbst wird auch von einem wegen Korruption verurteilten Bauunternehmer schwer belastet -; zwar wird er momentan von weniger als zehn Prozent der Bevölkerung unterstützt, aber das alles wiegt wenig angesichts seiner wirtschaftsfreundlichen Reformansätze (Haushaltsbremse auf Kosten der Bildungs-, Gesundheits- und Sicherheitssysteme, also auf Kosten der Armen[ref]Ein Berater der UNO soll von einer “Verletzung der Menschenrechte” gesprochen haben. Ts, ts![/ref]), die das Land wieder für Spekulanten bzw. Investoren interessant machen sollen. Wenn sich bisher die Krise leider nur verschärft (Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal um 0,8% gesunken)hat, so besagt das überhaupt nichts, weil laut dem neoliberalen Naturgesetz sich am Ende todsicher alles zum Guten wenden wird.