Keine Ahnung?

„Wir haben davon nichts gewusst“, haben die meisten Deutschen nach dem Ende des Nazi-Regimes behauptet und sich damit von der (Mit-)Schuld freisprechen wollen. Eine Lieblingsredefloskel unter jungen Leuten lautet heutzutage: „Keine Ahnung.“ und kennzeichnet tatsächlich einen real existierenden Bewusstseinszustand, der voller Gleichgültigkeit eingestanden wird. Soll auch diese schreckliche Feststellung der eigenen Ahnungslosigkeit etwas entschuldigen? In der NS-Zeit haben viele Menschen weggesehen oder es zumindest versucht. Es war bequemer, denn wer nicht wegguckte, verspürte womöglich ein moralisches Unbehagen, wenn man von denen absieht, die freudig hinguckten und mitmachten, weil für sie etwas heraussprang. [dropdown_box]
In einer ob der Grausamkeit des Wiedergegebenen nur mit Überwindung lesbaren Reportage mit dem Titel „Im Reich des Todes“ im „Süddeutsche Zeitung Magazin“ vom 19.7.13, – auf der Titelseite angekündigt mit den Worten „Und niemand sieht hin“ – wird berichtet, wie Beduinen auf der Sinai-Halbinsel afrikanische Flüchtlinge bestialisch foltern und abschlachten. Am Ende erzählen die Reporter, wie sie Abu, einen „15-jährigen Jungen mit Milchbart“, der „zwei Jahre vor dem Abschluss der Sekundarschule steht“, nach seinem Berufswunsch fragen. Die Antwort gibt er „mit leuchtenden Augen“: „Afrikaner foltern. Ihnen glühende Nägel durch die Hände schlagen, sie mit kochendem Wasser übergießen, 30000 Dollar [Lösegeld] kassieren und sie dann für 5000 Dollar weiterverkaufen.“[ref] Ein Privatsender macht übrigens neuerdings Werbung für eine britische Fernsehserie mit dem rühmenden Hinweis, sie sei total unsensibel.[/ref] Ein Aktionär von MAN, der hier zitiert werden soll, weil er vermutlich stellvertretend für die meisten seiner sozialen Gruppe steht, hat in der Fernsehreportage „Gefährliche Geschäfte“ geäußert, dass er, solange die Dividende stimme, „mit der Ethik überhaupt nichts am Hut“ habe. Ihm würden vielleicht die „leuchtenden Augen“ fehlen, wenn er einem nach ethischem Maßstab verwerflichen Tun zuschauen müsste, aber sonst …?
Nun hat der arme reiche Mann vielleicht einen Mangel an Vorstellungskraft oder/und „keine Ahnung“. Aber auch die Riesenmasse von Menschen, die keine Ahnung haben, können die Schuld an ihrer Ahnungslosigkeit nur sich selbst geben. Denn die Informationen existieren und sind leichter zugänglich als je zuvor. Man darf sich nur nicht auf BILD und RTL beschränken; es gibt auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Programme, die aufklärerische Beiträge senden[ref] Wer erfahren möchte, wie Politik heutzutage funktioniert, hätte z.B. auf arte “740 Park Avenue” oder “Brüssel Business” o.ä. ansehen können.[/ref] .
Keine Ahnung? Schämt euch!
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