Babette „Aldi“ Albrecht hat im Prozess gegen den Kunstberater Helge Achenbach eine bemerkenswerte, wenn auch nicht sehr tiefgründige Wahrheit ausgesprochen: „’ne Aktie ist ‘ne Aktie. Kunst kann man sich wenigstens anschauen.“ Und wie dieser Prozess zeigt, wird als „große“ Kunst gekauft, was möglichst viel kostet: Je höher der Preis, desto höher gepriesen die Kunst. Innerhalb dieser Logik kann es eigentlich gar nicht sein, dass man einen ,Experten’ wie Achenbach einen Betrüger[ref]So Thomas Steinfeld in der SZ „Achenbach und die Dinger. Kunst als Trophäe und Krönung des Kapitalismus“ 13.5.15. S.11[/ref] schimpft, wenn der ,Experte’ solventen, um eine Geldanlage bemühten Kunden, wie russischen Oligarchen, chinesischen Milliardären und britischen Hedgefonds-Managern oder eben Herrn Albrecht zuviel – was heißt das? – Geld für ein Werk abnimmt. Wo muss man denn hier die „Sachkenntnis“, die „Expertise“ suchen, dem sich diese Kundschaft „auf Treu und Glauben“ ausliefere? Wegen der „Sachkenntnis“ sollten sie sich an Goldman-Sachs oder JP Morgan wenden! „Nur bei der Kunst gibt’s ja dieses absurde Moment, dass im Prinzip aus drei Bleistiftkrickelstrichen auf billigem Papier etwas wird, was teurer ist als alles andere. Das wird vom Markt berührt und dann verwandelt sich das plötzlich in Gold.“ (Daniel Richter) Und Helge Achenbach hat ihnen geholfen. Denn, wie er gegenüber dem Journalisten Walter Wüllenweber geäußert hat: “Menschen, die 100 Millionen und mehr besitzen, sind häufig vereinsamt und haben Angst. Kunst hilft vielen, eine Aufgabe zu finden und einen Platz in der Gesellschaft.”
Bei Midas, über dessen Gier und Dummheit es etliche antike mythische Anekdoten gibt, war es egal, was er anfasste, es wurde alles zu Gold. Und das trotz wenig ausgeprägter Urteilskraft. Allerdings wäre die Annahme verfehlt, dass er ursprünglich ein Tellerwäscher war, der es dank seinem Fleiß zum Manager bei Goldman-Sachs gebracht hätte. Ein gewisses Kapital brachte er als geborener König durchaus schon mit. Märchenhaft? Mythisch? Oh, ja![dropdown_box]
Liest man die Feuilletons der großen Zeitungen, könnte man wirklich glauben, Kunst sei etwas völlig Irrationales. Scheinbar kann deshalb auch die Kunstkritik nicht anders als zu raunen. Oder muss sie raunen, um zu verbergen, dass sie der PR des Wirtschaftszweigs Kunstgeschäft kein eigenständiges Urteil entgegenzusetzen weiß?
Haben die Dadaisten die Schuld? Als Marcel Duchamp den gerade in der Drogerie erstandenen Kamm in eine Vitrine legte und zum Kunstwerk erklärte, war das, was er und seine dadaistischen Freunde mit diebischem Vergnügen taten, ein ins Auge springender Protest gegen eine willkürliche Festlegung von dem, was romantisch verbrämt als hehre Kunst zu gelten hatte. Ihre witzigen Scharlatanerien wurden aber durchaus nicht als solche angesehen, sondern als „Kunst“ wahrgenommen – mit der Folge, dass der Kunstbegriff eine Ausweitung ins Unendliche erfuhr und der – ohnehin schwierigen – kritischen Beschäftigung mit Werken der Bildenden Kunst jede rationale Kategorie verloren ging. Seitdem haben romantische Kämme ungeheuer zugelegt.
Angesichts einer derart schwierigen Ausgangslage haben wir heute eine Kunstkritik, die oftmals ob ihrer unfreiwilligen Komik recht amüsant erscheint und das Feuilleton unerwartet unterhaltsam macht. Eine versierte Raunerin der „Kunstwelt“ beschäftigte sich z.B. neulich [ref]SZ 13.3.15 S.13[/ref] mit Gerhard Richters „Auschwitz-Zyklus“. Catrin Lorch tut unseren Mündern schon durch den Titel ihrer Rezension Gewalt an, indem sie sie zwingt, aufgesperrt in ungläubigem Staunen zu verharren: „Das Verstummen abbilden“. Denn das will uns als eine äußerst schwierige, ja phantastische Aufgabe erscheinen, an der – natürlich außer einem Genie – wir alle scheitern würden. Oder hat sie das – als verhinderte oder wahre Maria Rilkin – irgendwie poetisch gemeint? Liegt die Erklärung vielleicht in ihrer Aussage: „Die Bilder sind stumm gemalt.“? Das ist natürlich etwas anderes; das kann man sich vorstellen, obwohl man sich doch fragt, woher sie weiß, dass der Künstler beim Malen stumm blieb, ob sie die ganze Zeit anwesend war? Hatte er vielleicht sogar sein Handy abgestellt? Das wäre aufregend – ja, sagen wir es nur: „spannend“!! Aber angesichts der Tatsache, dass sich auf den besagten Bildern viel Grau findet („Mattes, dichtes Grau.“) könnte man sich vorstellen, dass das Malgenie zumindest irgendwann gemurmelt haben könnte: „Verdammt; mir geht das Grau aus!“ Nein, diese allzu banale Vorstellung gefällt uns überhaupt nicht.
Beim besprochenen Werk Richters handelt es sich um vier abstrakte Gemälde, in die man, wenn man den Titel bzw. das Thema kennt, durchaus bestimmte Emotionen hinein- oder herauslesen kann, die man aber, wäre man sehr böswillig und schrecklich banausisch, auch als etwas düsteres Tapetenmuster ansehen kann. Letzteres verbietet sich aber natürlich auch angesichts des Themas. Der Leser erhält von Frau Lorch daher die Information, dass als „Vorlagen“ vier schreckliche, heimlich von Häftlingen in Auschwitz gemachte Fotos von der Judenvernichtung dienten. Von Vorlage kann eigentlich keine Rede sein, denn in der Abstraktion ist von ihnen nichts mehr zu sehen, auch wenn sie Inspiration gewesen sein mögen. Die Information dient anscheinend dazu, die durch das Werk allein möglicherweise nicht erzeugte Emotion („vermalt“ s.u.) des unendlich schrecklichen tatsächlichen Geschehens auf das abstrakte Kunstwerk zu übertragen. An späterer Stelle ihrer Ausführungen fragt sie: „Nun stellt sich die Frage, ob er die vier Fotografien überhaupt je auf die ,weißen Leinwände’ übertrug. Und sie dann zuspachtelte. Oder womöglich frische Leinwände aufspannte.“ Fragen, wie sie ein Sokrates nicht besser hätte stellen können. „Dass sie wie vermalt wirken, ist das eine – ob sie zwischen den Farbschichten auch eine unvollendete Übersetzung der fotografischen Motive in Farbe enthalten, das andere.“ Ja, das sind mal zwei so Sachen, das eine und das andere. Zum Glück erhalten wir die Lösung des Problems: Richter „hat an Auschwitz erinnert und seine Malerei schützend vor die vier Fotografien gehängt. Sie zugedeckt, ohne sie mit dem Pinsel anzutasten.“ Wunderbar, da freut sich nicht nur die Lorch; das ist doch mal eine klare Ansage.
In der Ausstellung und dann von Frau Lorch wird auch aus einem Brief des „Philosophen Georges Didi-Huberman“ zitiert: „Als ich Ihr Atelier betrat, hingen dort vier große leere Gemälde. <Aha!> Hoffnungslos weiß. Wartend.“ Eine überraschend intime Kenntnis des Gefühlslebens wartender Gemälde! Doch damit nicht genug; es knüpft sich daran noch die tiefsinnige, wirklich supersuperphilosophische Frage des Philosophen an den Künstler: „Sollten Sie mich eingeladen haben, damit ich sehe, dass Sie diese vier Gemälde noch nicht gemalt haben?“ Schade, dass die sicher geniale Antwort des Künstlers auf diese Frage uns kunstsüchtigen romantischen Bewohnern der Kunstwelt nicht überliefert ist. Wahrscheinlich weiß wieder mal nur der Wind die Antwort. Oder zitieren wir die Lorch: „Seither wartet die Kunstwelt.“ Immerhin vermochte der Künstler ein Warten zu beenden: Zur Vernissage sagte er über die Bildende Kunst, dass sie – anders als die Musik – bleibe. Dazu Frau Lorch: „Sicher ist genau (!) das eine der Hoffnungen derer, die auf diesen Zyklus warteten.“ Ja, ganz genau so ist es, absolut![/dropdown_box]