Oh, ihr Bildungsbürger, seid ihr denn total bescheuert? Ihr meint, euch über den gewöhnlichen Alltag zu erheben, über diese ganzen Alltagsprobleme, in denen fast immer nur von Geld die Rede ist, und davon, wer mehr hat oder weniger, ihr wollt euch etwas “Höherem” zuwenden. Und dann opfert ihr einige eurer Mußestunden auf dem Altar der “Kunst”, d.h., ihr geht in eine Ausstellung oder zu einem Event zeitgenössischer Künstler. Ach, warum, zum Teufel? Was wollt ihr da? Ihr strebt nach der vom Alltag irgendwie geschiedenen Aura der Kunst? Und wie blöde seid ihr eigentlich, nicht zu merken, dass ihr wieder nur auf einem Basar gelandet seid!
Ja, was ist denn heutzutage überhaupt Kunst? Der Galerist Simon de Pury zitiert Andy Warhol: Kunst ist alles, womit man durchkommt. Und er sagt über sich, den “Experten” bzw. Anlageberater: „Kunden erwarten von mir, meine Urteile mit bedeutsam klingenden Begriffen zu begründen. Deshalb ist es notwendig, einen bestimmten Jargon zu beherrschen. Aber im Grunde ist alles Hokuspokus.“
Es ist ja eigentlich seit dem Dadaismus keineswegs mehr originell, die eigenen Exkremente auszustellen. Was einst spaßige Provokation war, ist heute, sollte man meinen, nur noch albern. Trotzdem wurde die Merda d’artista – der Italiener Piero Manzoni hatte 1961 seine Scheiße in 90 Weißblechdosen verschlossen – zu einer „Ikone des Ikonoklasmus“ (hihi!), und eine seiner Dosen erzielte bei Sotheby’s immerhin 124 000€. Ein Liebhaberstück?! Der Galerist äußert sich über die Marktchancen dieser Geldanlage: „Würde ich eine Dose geschenkt bekommen, wäre ich glücklich, sie einzulagern und in zwanzig Jahren zu sehen, welchen Marktpreis sie hat.“[htsP anchor_text=Weiterlesen] Und er stellt fest: „Es gehört zur Faszination des Kunstmarktes zu beobachten, wie brutal und irrational sich der vorherrschende Geschmack wandelt.“ In der Tat, faszinierend!
Und wie wandelt man als Händler den vorherrschenden Geschmack? „Wenn ich auf Instagram ein Foto eines Kunstwerks veröffentliche, gibt es bei Käufern eine Schwarmreaktion, und der Marktwert des Künstlers geht nach oben.“ Und er fügt die Anekdote an, dass er auf Instagram ein Foto der ,coolen’ Bartheke eines Restaurants namens Novikov mit dem Titel #novikov veröffentlicht habe und als Reaktion eine Menge Leute fragten, wo sie einen Novikov kaufen könnten. ((alle Zitate: Süddeutsche Magazin 31.3.17))
Also los, ihr Bildungsbürger oder Kunstspekulanten, wenn’s denn sein soll: Auf zur Kunstbörse! Man kann sich ja gar nicht genug bilden. Für den Betuchten winken als Lohn außergewöhnliche Gewinne, auch wenn natürlich der Handel mit künstlerischen Exkrementen jeder Art langfristig ein gewisses Risiko birgt und in die Hose gehen kann. Das wäre dann natürlich einfach nur Scheiße. Aber es funktioniert mit dem richtigen Hokuspokus: Gold aus Scheiße, auch wenn man zuletzt vielleicht doch nicht mal Porzellan in den Händen hält.[/htsP]
Passenderweise sollte man allmählich zum Erbrochenen progredieren