Geheimnisvoll verrakelte Zonen

Aufregung in der Kulturszene! Breaking News von Gerhard Richter, „der als bedeutendster lebender Maler gilt“: „Richter hat früher die Bildflächen geteilt, als könne er den Himmel aufreißen lassen – jetzt darf Farbe herabregnen.“[ref]Süddeutsche Zeitung 9.2.17[/ref]
Aber was die Sache noch spannender macht, ist wieder mal das, was nicht zu sehen
ist[ref]vgl. auch Beitrag vom 3.2.16 „Nein, ist das aber fein!!“, in dem Cathrin Lorch wieder nach dem Nicht-Abgebildeten im Bild sucht[/ref]. Das ist im Grunde das, worum es geht, das geheimnisvolle Nichts. Hatte die Expertin Cathrin Lorch schon ehrfürchtig gestaunt über die Birkenau-Bilder[ref]vgl. Beitrag vom 25.3.15 „JP Morgans Anlagetipp: Kämme im Kommen“[/ref], in denen von Birkenau nichts zu sehen war, aber möglicherweise Fotos vom Vernichtungslager über- oder, wie sie sagt, „ver-malt“ waren, so soll auch hier das mit religiöser Inbrunst verehrte Malgenie Mystisches geäußert haben: „Richter selbst (!) soll während der Arbeit im Museum vergnügt (!) erzählt haben, unter den Farbgewittern gäbe (sie meint hier natürlich: „gebe“) es noch einiges, das jetzt wie weggewaschen ist. Landschaften beispielsweise, tiefe Horizonte, Lanzarote“, und zwar in fotorealistischer Malweise. Oha! Da kann die Lorch natürlich ohne weiteres prophezeien: „Das Publikum wird nach solchen Ansagen vor allem die tiefer liegenden, in Lila und Grau verrakelten Zonen erforschen“. Denn es ist ja einfach „unmöglich, jetzt solche Panoramen mit Blicken zu durchwandern, ohne an das zu denken, was dort womöglich verborgen ist.“ Sie verweist dann auch selbst auf die Birkenau-Bilder, von denen sie nun[ref]Vorsichtiger hatte sie in der Rezension vom 13.3.15 noch gemeint: „Nun stellt sich die Frage, ob er die vier Fotografien überhaupt je auf die ,weißen Leinwände’ übertrug.“[/ref] behauptet, dass hier Fotografien „schlussendlich von ihm wieder mit Abstraktionen zugemalt worden“ waren: „Sie waren da – blieben (bleiben?) aber unsichtbar.“ Huhuu, huhuuuu![htsP anchor_text=Weiterlesen]
Die Lorch schlussfolgert: „Motive, so sagen es die neuen Gemälde, können mit dem Pinsel erschaffen und auch wieder vernichtet werden.“ und fasst ihre ganze aus dieser Tatsache herrührende Faszination in die erschütternden Worte: „Die beiden so lange als fast gegensätzlich verstandenen Stränge im Werk Richters liegen plötzlich (!) gar nicht mehr weit auseinander, nur einen winzigen Bruchteil von Millimetern (!) Farbschicht.“ Tja, ist es denn zu fassen, wenn es denn so ist?!
Lieber Gerhard Richter, da haben Sie aber mal wieder einen Coup gelandet! Einfach und wirksam.
A propos Wirkung: Cathrin Lorch informiert uns endlich auch über die Tatsache, dass Richters Stammheim Zyklus „auf die deutsche Öffentlichkeit fast kathartisch wirkte“. Schlimm, dass die „deutsche Öffentlichkeit“ das mal wieder nicht bemerkt hat.[/htsP]

2 Gedanken zu „Geheimnisvoll verrakelte Zonen

  1. ach komm, die Evokation von behaupteten Inhalten der bildenden Kunst ist doch schon lange eine Sprachconfiserie für sich, ein kleines sinnfreies Bastelhobby wie “Serviettentechnik” oder “Scrapbooking” oder die Bemalung von lackierten Fingernägeln mit winzig filigranen Kätzelein. Seit Tom
    Wolfe vor Jahrzehnten den Kritiker zum Kunstkönigsmacher kürte, kann man doch einfach das entzückende Macramée einer kunstkritischen Laberakrobatik in ihrer eigenen Minihermeneutikarena goutieren.
    Was hamwa schon gelacht über die Texte der musealen Audioguides, gern verlesen von “Großen Stimmen” wie jetzt Günter Jauch im niegelnagelneuen Potsdamschloss von privaten Gnaden

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